Literatur |
Andreas Mayer, Sigmund Freud zur Einführung, 3., ergänzte Auflage, Hamburg 2022. |
Lerninhalte |
Der französische Philosoph Michel Foucault bezeichnete die Entdeckung des Unbewussten als eine der großen Kränkungen des modernen Menschen. Um 1900 hatte der Arzt und Neurophysiologe Sigmund Freud herausgefunden, dass wir noch nicht einmal in unserem eigenen metaphorischen Haus – unserem Selbst – herrschen. Er hatte damit das Rätsel, das wir für uns oft darstellen, auf einen Begriff gebracht. Aus der Perspektive von Kunst und Kultur war diese Kränkung allerdings äußerst produktiv. Denn sie löste eine Explosion an neuen Behandlungsansätzen, theoretischen Entwürfen und künstlerischen Praktiken aus – von der Redekur über den Surrealismus bis in die politische Philosophie hinein. Sie versprachen Aufklärung über das komplizierte Verhältnis von Ich, Es und Über-Ich genauso wie Einblick in die Wechselwirkungen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. Seit einigen Jahrzehnten ist allerdings eine seltsame Schieflage zu beobachten: Einerseits ist die Psychoanalyse zunehmend in Misskredit geraten. Viele ihrer zentralen Annahmen darüber, was als normal und was als krank gelten muss, wurden aus feministischer, queerer und postkolonialer Perspektive einer scharfen Kritik unterzogen. Auch in der therapeutischen Behandlung haben ihr längst andere Verfahren den Rang abgelaufen. Andererseits arbeiten sich Gegenwartsdeutungen mehr schlecht als recht daran ab, Phänomene wie den Rassismus oder den Populismus zu erklären, die offensichtlich an die Gefühlsebene auch des Politischen rühren. Und die oben genannten Kritiken bezogen ihr Material nicht selten aus der Psychoanalyse selbst und trugen so zu ihrer Weiterentwicklung bei. Das Seminar fragt deshalb danach, ob die Psychoanalyse auch heute noch einen Beitrag zum Verständnis und zur Verständigung leisten kann. Dazu führt es entlang zentraler Texte sowie anhand ausgewählter Verarbeitungen in Grundlagen der Psychoanalyse als Kulturtheorie ein. |