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Die Lust, vor allem die körperliche, genießt in der Geschichte der Philosophie nicht unbedingt das größte Ansehen. Schon Aristoteles und Platon ließen lediglich „die höheren Stufen der Lust“ gelten, also jene Vergnügen, die mit einer intellektuellen Anstrengung verbunden waren und die später dann im 18. Jahrhundert als „ästhetische Lust“ zum Sinnbild von kultivierter, geistiger Erfahrung und kritischer Urteilsfähigkeit werden. Das „interesselose Wohlgefallen am Schönen“, wie es Immanuel Kant charakterisierte, ist vor allem auch in erotischer Hinsicht interesselos. Einer so verklemmten und von jedem sinnlichen Begehren gereinigte Vorstellung von Genuss warf selbst der bürgerliche Adorno noch vor, sie „werde zum kastrierten Hedonismus, zur Lust ohne Lust.“ Im Seminar widmen wir uns Positionen, die das kritische Potenzial der Lust gerade in deren Fleischlichkeit und Unmittelbarkeit erkennen. Wenn sexuelle Begierde die Ketten der Norm sprengt, die Grenzen des guten Geschmacks überschreitet und sich radikal für die eigene Erfüllung einsetzt, kann sie dann zum Movens für politische Emanzipation werden? Brauchen wir eine neue sexuelle Revolution, weil weibliche sexuelle Handlungsmacht auch im 21. Jahrhundert noch zum Unsagbaren gehört? Oder zeichnet sich die Lust gerade dadurch aus, dass sie sich nicht instrumentalisieren oder verwerten lässt, weil sie per se selbstgenügsam ist? Mit dem Blick in den philosophiegeschichtlichen Rückspiegel stellt sich nicht zuletzt auch die Frage, ob in den unbändigen Dynamiken des Erotischen eine Verbindung zur Erkenntnis oder gar zum kritischen Urteilsvermögen liegt. Inwiefern ist Denken erotisch? Oder andersherum: war Denken je etwas anderes als die leidenschaftliche Begierde nach Wissen? |